Direkt zum Inhalt

Abenteuer Außenhandel

Unterzeichnung des ersten deutsch-chinesischen Handelsvertrags 1957, der maßgeblich durch die Arbeit des Ost-Ausschusses zustande kam. Foto: OA-Archiv
27.06.2022
2022 feiert der Ost-Ausschuss seinen 70. Geburtstag. Der Gründung 1952 ging eine dreijährige, mitunter abenteuerliche Vorbereitungszeit voraus.

Die pralle Akte zur Vorgeschichte des Ost-Ausschusses mit der Nummer 175-2-3, die Mitarbeiter des BDI zusammengestellt haben und die heute im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv (RWWA) einsehbar ist, enthält ca. 450 Seiten mit Briefwechseln, Telegrammen, Gesprächsnotizen, vertraulichen Vermerken, Konzeptentwürfe und Namenslisten. Alle Verbände, die das wirtschaftliche Rückgrat der jungen sozialen Marktwirtschaft bildeten, viele Unternehmer und Unternehmen von Rang und Namen treten hier in Erscheinung, zusammen mit allen wichtigen deutschen Wirtschaftspolitikern und Verbandsvertretern dieser Zeit.

Von „Business as usual“ konnte Ende der 1940er Jahre keine Rede sein, als die Entstehung des Ost-Ausschusses ihren Lauf nahm. Der Ost-West-Handel sei in jenen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ein wirkliches „Abenteuer“ gewesen, schreibt Karsten Rudolph in einer Untersuchung über das damalige Engagement deutscher Industrieller. Angesichts der komplexen Bedingungen des Kalten Krieges, wurde jeder private Handelskontakt mit den Staatswirtschaften jenseits des Eisernen Vorhangs unweigerlich zu einem Politikum. Unternehmer, die hier aktiv wurden, mussten eine besondere Sensibilität für Politik sowie „interkulturelle Kompetenz“ mitbringen – um einen Ausdruck der Gegenwart für eine Zeit zu nutzen, in der Reisen beschwerlich und der Zugang zu Informationen vergleichsweise limitiert war. Westdeutsche Geschäftsleute hatten es in den Ostblockstaaten oder China nicht mit ihresgleichen zu tun, sondern mussten sich gegen staatliche Handelsmonopole behaupten. Dabei waren sie ziemlich auf sich allein gestellt, denn diplomatische Vertretungen der Bundesrepublik suchte man dort noch vergebens. In der Heimat wiederum standen westdeutsche Osthändler zwar nicht direkt im Geruch, mit dem Kommunismus zu sympathisieren, konnten aber mit ihren Geschäften schnell in den Verdacht einer Umgehung bestehender Embargo-Auflagen bis hin zum Landesverrat geraten.

Ehrlicher Makler

Bereits das Führen von Sondierungsgesprächen mit Vertretern sozialistisch-kommunistischer Staaten konnte leicht als Aufwertung der offiziell diplomatisch nicht anerkannten Gegenseite gesehen werden. Kontakte mussten daher einerseits in einem gewissen konspirativen Rahmen ablaufen und als privat deklariert werden, sie mussten aber andererseits möglichst in Abstimmung mit der Bundesregierung und gegenüber den misstrauischen Westalliierten mit einem Mindestmaß an Transparenz geführt werden. Es bedurfte daher einer Schaltstelle, die den am Osthandel interessierten deutschen Unternehmen das Leben erleichterte, zwischen ihnen, den Regierungen der Zielländer und der Bundesregierung vermittelte und dazu von allen drei Parteien akzeptierte Spielregeln aushandelte – einen Ost-Ausschuss also.

Das Vertrauen einer der Seiten zu verlieren, hätte dieses Gremium sofort dysfunktional gemacht. Der Begriff der Lobbyorganisation, der in Zusammenhang mit dem Ost-Ausschuss gelegentlich verwendet wird, greift daher viel zu kurz. Der Ausschuss musste vielmehr ein ehrlicher Makler oder dreifacher Treuhänder sein: zugleich Interessenvertreter der Wirtschaft gegenüber der Politik, aber genauso auch respektierter und diplomatisch bewanderter Sachwalter der Bundesregierung gegenüber der deutschen Wirtschaft und den ausländischen Regierungen, mit denen er Projekte besprach und Verträge aushandelte. Deshalb war es wichtig, dass sich der Ost-Ausschuss parteipolitisch neutral verhielt, sich nicht direkt an Geschäften beteiligte und auch keine Provisionen mit seiner Arbeit verdiente. Dies hätte den Ausschuss abhängig gemacht und die fragile Balance gestört. 

Von Seiten der Wirtschaftsverbände und den beteiligten Unternehmern wurde zudem darauf geachtet, dass der Ost-Ausschuss die ganze Breite der deutschen Wirtschaft abbildete und die Spitzenvertreter ihre exklusiven Zugänge nicht etwa nur für einzelne Branchen oder gar zu ihrem eigenen Vorteil gebrauchten. Auf allen Ebenen war also Diplomatie auf höchstem Niveau gefordert. Angesichts dieser Komplexität der Aufgaben, die erst im Laufe seiner Entstehungsgeschichte so richtig klar wurde, wundert es wenig, dass sich die Gründung des Ost-Ausschusses drei Jahre von Ende 1949 bis Ende 1952 hinzog.

Gut Ding will Weile haben

Es ist gar nicht so einfach die Geburtsstunde des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft genau zu bestimmen, im Grunde müsste man eher von Geburtsmonaten oder gar Jahren sprechen. Der erste Anlauf zur Gründung des Ost-Ausschusses fällt bereits auf die Jahreswende 1949/1950. Die eigentlich für März 1950 geplante Gründung wurde aber kurzfristig aus politischen Gründen vertagt. Grünes Licht für die Ausschuss-Gründung gab erst Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard in einer gemeinsamen Sitzung mit einigen Unternehmens- und Verbandsvertretern am 9. Oktober 1952 in Bonn. Der Vorsitz des Ausschusses fiel an diesem Tag spontan dem Unternehmer Hans Reuter zu. Die konstituierende Sitzung der wichtigsten Ost-Ausschuss-Gremien fand dann aber erst am 17. Dezember 1952 in Köln statt.

Gut Ding will Weile haben – könnte man sagen. Der Ost-Ausschuss war also alles andere als eine leichte Geburt, das lag an den beschriebenen Zeitumständen und an der Komplexität der Aufgaben im Grenzbereich von Wirtschaft und Politik. Diese Position verhilft ihm zu einer Ausnahmestellung in der deutschen und europäischen Wirtschaftsgeschichte. Gründerväter (es waren wirklich nur Väter) gibt es zahlreiche, sowohl aus der Wirtschaft als auch aus der Politik. An der Entstehung des Ost-Ausschusses beteiligt waren in dieser Reihenfolge: die Mitglieder des „Außenhandelsausschusses industrieller Verbände“ (AIV), der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Außenhandelsfragen Christian Kuhlemann (Deutsche Partei), der für Ost-West-Handel zuständige Referent im Bundeswirtschaftsministerium Hans Kroll, der Hauptgeschäftsführer des  Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Hans-Wilhelm Beutler, Unternehmer wie Gerhard Schauke (Mannesmann-Export GmbH), Wilhelm Alexander Menne (Hoechst AG), der Bremer Senator Hermann Wenhold (DIHT) und letztlich „Mister Wirtschaftswunder“ Ludwig Erhard höchstpersönlich.

Die entscheidenden Fäden in die verschiedenen Richtungen sponnen und verknüpften aber mit großem Geschick zwei Mitarbeiter des Ende 1949 in Köln gegründeten Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der dort im Kaiser-Wilhelm-Ring 2-4 auch seine ersten Büroräume bezog: der für Außenwirtschaft zuständige BDI-Abteilungsleiter Edgar H.P Meyer und der ihm zugeordnete Referent Ernst-Wilhelm von Carnap. 

Wie sich die beiden über Jahre der Ausschussgründung widmeten und welche Widerstände dabei zu beachten und zu überwinden waren, beschreibt auf 31 Seiten das Special: 70 Jahre Ost-Ausschuss aus dem Mittel- und Osteuropa Jahrbuch 2022. Das pdf des vollständigen Beitrags finden Sie hier als Download.

  • Ernst-Wilhelm von Carnap war maßgeblich an der Gründung des Ost-Ausschusses beteiligt und wurde 1952 zu dessen erstem Geschäftsführer. Foto: BDI-Archiv. Fotograf unbekannt
  • Dieses Haus im Kaiser-Wilhelm-Ring 2-4 in Köln war die erste Adresse des Ost-Ausschusses. Foto: Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln, RWWA 32-F2239
  • Hans Reuter (Generaldirektor der DEMAG) ging als Gründungsvorsitzender in die Ost-Ausschuss-Geschichte ein. Foto: OA-Archiv
Ansprechpartner

Andreas Metz
Leiter Public Affairs
T. +49 30 206167-120
A.Metz@oa-ev.de

Diese Seite teilen: